Beeindruckende Kundgebung * kämpferische Reden, berührende Lieder und eindrückliche Gebete * starke Demonstration * Eruption der Kontroversen und Gefühle erfolgreich bewältigt * Zeichen für die Zukunft gesetzt

 Eine überwältigende Resonanz mit 500 TeilnehmerInnen hatte die 599. Montagsdemo in Gelsenkirchen, zu der Montagsdemo und Flüchtlingsinitiative Gelsenkirchen gemeinsam aufgerufen hatten. Auch eine kleine Gruppe von fünf Flüchtlingen aus Essen reihte sich ein. Viele Familien mit Kindern kamen und setzten gemeinsam ein entschiedenes friedliches einmütiges Signal, der Verbrüderung, der gemeinsamen Trauer und des Widerstandes – für Freiheit, Demokratie und ein menschenwürdiges Leben, in Deutschland, in Syrien, weltweit! Sie fordern entschieden das Ende dieses barbarischen Krieges und den sofortigen Stopp der Bombardierungen von Aleppo. Sie warnen eindringlich vor der Weltkriegsgefahr, die von der Konfrontation sämtlicher Großmächte ausgeht. Martina Reichmann, Vertrauensfrau von Montagsdemo und Flüchtlingen: „Wir senden ein eindringliches Zeichen, das uns mit vielen Menschen in Syrien, in anderen Städten und Ländern eint: Die weltweite Friedensbewegung muss endlich den Kampf um Frieden in Syrien aufnehmen – sonst wird es ihn nicht geben!“

Dieses wichtige Anliegen brachte Menschen aus vielen unterschiedlichen Ländern und Kontinenten zusammen. In einer Schweigeminute gedachten sie der zehntausenden getöteten und verletzten Menschen, die meisten von ihnen Zivilisten. Mit Kerzen war der Schriftzug „Aleppo“ gestaltet, umringt von roten und weißen Rosen. Viele der umstehenden Teilnehmer aus Syrien haben selbst Verletzungen erlitten, eine schlimme Flucht hinter sich - oder denken Tag und Nacht an verbliebene Verwandte vor Ort. „Wir brauchen Frieden und ein sicheres Zuhause hier in Deutschland, vor allem für unsere Kinder. Wir sind wie ein Baum, den man entwurzelt hat,“ drückte es Lina D.N. aus Syrien aus.

Auf der Kundgebung sprechen RednerInnen aus Syrien und Deutschland abwechselnd, verbinden Lieder in beiden Sprachen die Teilnehmer und Passanten. Die „Bitten der Kinder“ von Bertolt Brecht, werden vorgetragen von den „Rotfüchsen“: Zwei Mädchen – syrisch und deutsch – hatten das Gedicht eingeübt: „Häuser sollen nicht brennen, Bomber soll man nicht kennen. Die Nacht soll für den Schlaf sein, Leben soll keine Straf‘ sein. Mütter sollen nicht weinen, keiner soll müssen töten einen. Alle sollen was bauen, da kann man jedem trauen. Die Jungen sollens erreichen, die Alten des gleichen.“

Still wird es, als Filme und Fotos auf Großleinwand näher bringen, was in Syrien passiert. Die frühere Schönheit von Aleppo – dann die gleichen Orte in Trümmern. Ein syrisches Mädchen singt ein Freiheitslied – mitten in den Gesang kracht die Explosion einer Bombe. Ein Regen glühend leuchtender Fäden fällt vom Himmel – kurz darauf verwandeln sie die Stadt in eine Feuerhölle. Menschen retten ihre Verletzten, bergen die Toten, immer wieder dazwischen die „Weißhelme“. Diese Organisation wurde für ihren unschätzbaren Einsatz bei der Rettung von Zivilisten in Syrien mit dem alternativen Nobelpreis ausgezeichnet - und von den Montagsdemonstranten geehrt. Unter den Syrern genießen sie große Hochachtung. Szenen von großen Massendemonstrationen des syrischen Volkes in Aleppo, in Kobane bezeugen den ungebeugten Freiheitswillen.

Ayman Al Homsi, Delegierter der Flüchtlinge, eröffnet den Reigen der Redner: „Russland bekämpft angeblich den Terrorismus, aber in Wirklichkeit nur die Zivilbevölkerung. Wir brauchen Medikamente, Nahrung, die Menschen in Aleppo sind eingeschlossen von den Milizen, was kann ein Vater seinem Kind sagen, das Medikamente braucht, das Hunger hat? Soll er ihm sagen, dass Russland ein Veto eingelegt hat? Wir sind vom Krieg getrieben worden, so weit zu fliehen.“

Lisa Gärtner vom Jugendverband Rebell geht auf die schwere Situation des syrischen Volkes ein, auf dessen Rücken so viele Mächte ihre Konkurrenz austragen: „Es wird vom Assad-Regime unterdrückt und von allen imperialistischen Mächten der ganzen Welt angegriffen. Die deutsche Regierung unterhält zu allen kriegsführenden Parteien enge Beziehungen, liefert an fast allen direkt oder indirekt Waffen und ist mitten in diesem Krieg voll des Lobes über den Iran als ‚einer der chancenreichsten Märkte der Zeit‘. Die Menschen in Syrien stehen nicht alleine. Wir alle gemeinsam werden alles dafür tun, dass ein freies Syrien kommen wird, in dem die arabischen, kurdischen, assyrischen, turkmenischen Völker selbst über ihr Land bestimmen werden. Denn sie können sich sicher sein: Der Wunsch der Menschen dieser Welt nach Freiheit, Frieden, echtem Sozialismus lässt sich nicht töten, durch keine Bombe dieser Welt.“

Da Imam Dr. Maruf im Berufsverkehr von Düsseldorf steckt, bleibt es dem engagierten Katholiken Karl-Heinz Rotthoff vorbehalten, die religiösen Friedensgefühle einzubringen; er liest aus einem christlichen Friedensgebet, das von einem Pilgerweg mit Flüchtlingen in unserer Stadt stammt. Bewegt hörten die zahlreichen muslimischen Zuhörer, wie er für Frieden in Syrien betet. Nicht nur, dass die Mächtigen der Welt den Weg zum Frieden gehen, sondern auch dass die Geflüchteten ein gutes, friedvolles Leben in Deutschland finden und all die, die mit ihnen zu tun haben – nicht zuletzt die Beschäftigten in den Ämtern – in all den Stresssituationen die Kraft und die Weisheit finden, richtige Entscheidungen zu treffen. Satz für Satz wird auf Arabisch übersetzt!

Lina D.N. Aus Syrien liebt und vermisst ihre Heimat: „Der Krieg, der in Syrien gezündet worden ist, ist ein nationaler Krieg, ein regionaler Krieg, ein Krieg der Welt. Wir rufen euch von Herzen im Namen der Bevölkerung, wir rufen Euch im Namen der Menschlichkeit: Ob Aleppo, Damaskus oder Homs, wir sprechen hier für jede Stadt in Syrien. Die Härte und Traurigkeit, die uns hierher gebracht hat, lässt uns miteinander hier leben. Die Würde des Menschen bedeutet, dass wir alle wie eine Hand sind. Lasst uns zusammen unsere Stimme erheben, auch wenn wir nicht sicher sein können, welchen Erfolg wir erreichen, lasst uns über das Leid unseres Landes reden. Herzlichen Dank an die Jugendlichen, an alle für Eure Unterstützung.“

Wilma Mittelbach kennt viele Menschen und ihre Probleme als Flüchtlingsberaterin im Treff International: „Menschen aus unterschiedlichen Ländern stehen zusammen für ihre Interessen, der Flüchtlinge, der Arbeitslosen, Armen. Wir müssen zusammen kämpfen in kleinen und großen Fragen. Wir können nicht auf die USA, BRD, Russland vertrauen, die alle ihre eigenen Interessen verfolgen. Wenn wir wollen, dass dieser Krieg endet, müssen wir zusammen dafür einstehen!“

Auf der Demonstration durch die Straßen gehen die Kinder voran mit dem Transparent „Frieden für Syrien und die ganze Welt“, neu gestaltet für die 599. Montagsdemonstration.. Es wird sicher noch oft in Gelsenkirchen zu sehen sein.

Die angespannte Lage in Syrien gibt Zündstoff für viele Kontroversen untereinander, die am Ende der 599. Montagsdemo zu einer Zuspitzung führen: Während der ganzen Demonstration branden immer wieder Parolen und arabische Rufe auf. Die Verantwortlichen der Flüchtlingsinitiative überzeugen, dass dies in erster Linie ein Gedenk- und Trauermarsch sein soll, der nicht aufgeheizte politischen Konflikte ins Zentrum stellen sollte. So verläuft die ganze Demonstration konzentriert und würdevoll. Doch fast am Ende bricht der Damm und es kommt zu einer Eruption der politischen Konflikte und widerstreitenden Gefühle. Einige sehen in einem Redebeitrag Assad nicht ausreichend attackiert …. Zurückgekehrt zum Preuteplatz droht fast eine handgreifliche Eskalation. 20 Leute auf einmal wollen nun noch am offenen Mikrofon sprechen! Nach kurzer Absprache zwischen den Veranstaltern ist klar: die Demonstration und Kundgebung wird ebenso kämpferisch wie friedlich beendet.

Gewohnt entschlossen und souverän geht Moderatorin Monika Gärtner-Engel mitten in den Pulk der Streitenden, wirbt für einen würdigen Abschluss der Veranstaltung, läßt keine eskalierende Diskussion am Mikrofon zu… Die Demonstration wird stattdessen würdevoll mit dem Friedenslied von Peter Reichmann „Der Wind kennt keine Grenzen…“ beendet.
Inzwischen hat auch die Polizei Verstärkung bekommen. Sie müssen jedoch nicht eingreifen. „Als Anmelderin bedanke ich mich für das sehr demokratische Verhalten der Polizistin und der Polizisten, die sehr gut mit uns kooperiert haben,“ so abschließend Martina Reichmann.