Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer, Herr Oberbürgermeister, meine Damen und Herren!

Bis gestern hatte ich einen ziemlich klaren Plan für diese Haushaltsrede im Kopf. Ich wollte Ihnen faktenreich begründen, weshalb AUF Gelsenkirchen diesen Haushalt abgelehnt:

  • weil er einige gute Maßnahmen im Bereich Kinder und Bildung nur verwirklicht, während er zugleich eine hanebüchene Erosion an der Substanz der Stadt betreibt

  • weil dieser Haushalt wie immer die so genannten kleinen Leute belastet und die Großen laufen lässt

  • weil er von illusionären Zukunftsprognosen ausgeht, insbesondere was das niedrige Zinsniveau und wachsende Steuereinnahmen betrifft

  • weil er die Belastung der städtischen Mitarbeiter immer weiter intensiviert

  • weil er den Investitionsstau als sich auftürmende Bugwelle vor sich her schiebt

  • weil er keinerlei ernsthafte Arbeitsmarktpolitik betreibt

  • weil keinerlei Lösung für die Armuts- und Arbeitslosigkeitsleistungen in Sicht sind

  • und nicht zuletzt, weil Sie sämtliche konstruktiven Anträge von AUF Gelsenkirchen abgebügelt haben…

Wie gesagt: all das und mehr wollte ich Ihnen darlegen….

Doch dann fiel mir gestern der in der Nacht ausgehandelte Koalitionsvertrag der möglichen neuen Regierung in die Hände. Mich interessierte natürlich, was "schwarz-rot" zu unserer heutigen Haushaltsdebatte beisteuern kann - und das bewog mich, darüber die Diskussion zu eröffnen.

 

Auf gut Deutsch kann einem um die Zukunft der Kommunalfinanzen jetzt erst recht Angst und Bange werden - und ist kommunaler Widerstand mehr denn je gefragt! Ausnahmslos alle Parteien haben im Wahlkampf große Töne gespuckt in Bezug auf die bessere Ausstattung der Kommunalfinanzen. Was wurde jetzt daraus?

Zunächst ergießt sich der Koalitionsvertrag in hehren Worten – genauer gesagt: Sprechblasen – über die strategische Bedeutung der Kommunen als "zentraler Bestandteil unseres Gemeinwesens". Der Satz mit dem immerhin noch größten Wahrheitsgehalt lautet: "Voraussetzung dafür sind auch gesunde Finanzen". Wie wahr! Doch dann wird allen Ernstes behauptet, dass der Bund „dazu einen gewichtigen Beitrag geleistet" habe. Angeführt werden dann in Wirklichkeit lauter Beispiele dafür, wie das Konnexitätsprinzip anhaltend verletzt wird - durch immer neue Aufgaben und nur bruchstückhafte Kostenerstattung wie z.B. bei U 3.

Weiter wird glatt behauptet, dass diekommunale Ebene – bei aller Heterogenität - seit dem Jahr 2012 Finanzierungsüberschüsse erziele. Kein Wort mehr von den großen, strukturellen Problemen der Kommunen; kein Wort davon, dass so genannte Sanierungen durch harte Einschnitte in soziale Errungenschaften, kulturelles Leben und allgemeine Lebensqualität erreicht worden.

Allen Diskussionen um die notwendige grundlegende Reform der kommunalen Finanzen zum Trotz wird dann vor allem auf die Gewerbesteuer verwiesen: "Die Gewerbesteuer ist eine wichtige steuerliche Einnahmequelle der Kommunen. Wir wollen, dass auf der Basis des geltenden Rechts für die kommenden Jahre Planungssicherheit besteht."

Sie alle wissen, dass wir stets die Anhebung des Gewerbesteuershebesatzes gefordert haben, damit die Großen und Reichen belastet werden und nicht immer wieder – wie über die Grundsteuer oder die Hundesteuer – die „kleinen Leute“.

Aber dass die Gewerbesteuer Planungssicherheit biete ist ein Treppenwitz erster Güte.

Der drastische Einbruch dieser "verlässlichen" Einnahmequelle in Gelsenkirchen ist wie ein Vorgeschmack für das, was andere Kommunen noch erleben werden. Vor allem geschieht dieser Einbruch nicht auf der Grundlage des Zusammenbruchs eines darbenden Steuerzahlers, sondern weil ein Internationales Übermonopol sämtliche Tricks und Kniffe anwendet, seine Profite zuerst weg zu rechnen und wenn das nicht mehr möglich ist durch internationale Transaktionen Steuerzahlungen zu vermeiden und sich auch noch völlig unkontrollierbar zu machen. Alles ganz legal! Die Planungsssicherheit liegt allein auf Seiten des Konzerns und nicht auf Seiten der Kommune!

Damit komme ich zu der ganzen Denkweise des heute vorgelegten Haushaltes, der schlicht die bedauernde Kapitulation vor all diesen Tatsachen bedeutet. "Mehr war nicht drin" – das ist die Grundlinie. Mehr war nicht drin – das ist der jämmerliche Tenor angesichts der ganzen Kröten, die die SPD mit dem Koalitionsvertrag schlucken soll. Mehr war nicht drin – so tönt es aus Warschau, wenn jetzt sogar die völlig unzureichenden Klimaziele offen aufgekündigt werden. Mehr war nicht drin – mit diesem bedauernden Schulterzucken sollen die Opelaner in Bochum die Werksschließung akzeptieren.

Mit dieser minimalistischen Denkweise verschreibt man sich – allenfalls noch bedauernd - der Logik der Mächtigen wie unserem „großen Steuerzahler“.

Doch! Es ist mehr drin! Noch nie gab es so viel Reichtum, Wissen, ausgebildete Menschen, soziales Know-how, Kommunikations- und Planungsmöglichkeiten wie in der heutigen Welt.

Diesen Haushalt abzulehnen bedeutet für AUF Gelsenkirchen auch, der selbstzerstörerischen Denkweise "Mehr ist nicht drin" und den ganzen damit verbundenen Ohnmachtsgefühlen eine klare Absage zu erteilen.

Kämpfen – aber mit Freuden“, fordert Kurt Tucholsky und das finde ich eine gute Leitlinie angesichts der zweifellos auf uns zukommenden noch härteren Zeiten.