Redebeitrag auf der Ratssitzung am 19.02.2015 von der Stadtverordneten Monika Gärtner-Engel

Wahlen 2

Seit ich von diesem Tagesordnungspunkt gehört habe,  frage ich mich, warum Sie sich das antun? Klar, es ist wohl eine zentral verordnete Kampagne von Ihren vorausschauenden Parteispitzen, das jetzt in Angriff zu nehmen. Aber das Ganze ist so unübersehbar darauf ausgerichtet, ihnen unliebsame Kritiker vom Hals zu halten, dass es schon geradezu peinlich ist.

Andererseits kann ich sie irgendwie auch verstehen angesichts deutlicher Veränderungen in der Parteienlandschaft: Die CDU ist bei den Hamburg-Wahlen komplett eingebrochen. vor 20 Jahren hatte die SPD in Gelsenkirchen 12 000 Mitglieder, heute noch grade mal um die Hälfte. Oder vielleicht haben Sie nach Griechenland geschaut – dort lag Syriza vor ein paar Jahren bei unter 3 %, die PASOK bei über 30 – und heute ist es umgekehrt.

Hier treiben sie vielleicht leise Befürchtungen, dass auch hier "aus dem Kleinen das Große" wird?! Die ganze Entwicklung zu viel mehr Gruppen und Bündnissen in den Räten ist doch unübersehbar Ausdruck davon, dass die Menschen nicht mehr mit Inhalt und Politikstil der etablierten Parteien einverstanden sind! Aus Protest entstehen neue Gruppierungen. Und was machen Sie jetzt? Statt der Sache auf den Grund und mal selbstkritisch in sich zu gehen versuchen Sie, ihre Kritiker auszugrenzen, zu unterdrücken. Das wird nicht funktionieren!
Aber nochmal: warum tun Sie sich das an? Warum wollen Sie das Bunte, Lebendige, das die Vielfalt der Wählerinnen und Wähler zumindest im Ansatz widerspiegelt, abwürgen? Allein die Vorstellung, der Rat würde zurückkehren zu Verhältnissen, wo dann nur die Platzhirsche Heinberg und Dr. Haertel sich mal den einen oder anderen Schlagabtausch liefern, immer mal wieder Herr Tertocha  von der SPD eins auf die Mütze kriegt, weil er nicht brav war und dazu ein paar schweigende, höchstens rassistischer Anträge einbringende Rechte… welch schreckliches Szenario und wie gähnend langweilig! Dabei könnten sie eigentlich froh und dankbar sein, dass es solche hartnäckigen und fleißigen Farbtupfer wie uns von AUF,  oder jetzt die Piraten, andernorts auch DKP, Linke, Bürgerbündnisse gibt. Stichwort Inhalt, Stichwort Politikstil!
Immerhin haben allein schon wir von AUF jede Menge Punkte eingebracht, über die Sie zuerst gelacht, sie abgeschmettert und uns attackiert haben. Doch meistens haben Sie es Jahre später auch kapiert. Oder anders gesagt: Die Farbtupfer wurden zur Mehrheitsmeinung.
Hans Sachs Haus – die Ratsmehrheit macht einen abartigen Vertrag, wendet sich jahrelang gegen den Vertragsausstieg, beschließt den Abriss – wir waren gegen den Vertrag, dann für den schnellstmöglichen Ausstieg, kämpften um das Hans Sachs Haus. Gewonnen! Bingo!
Cross Boarder Leasing - Sie haben die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen, wie wenig Ahnung wir von pfiffigen Finanzideen hätten, haben uns der Investorenparanoia bezichtigt. Als auch Sie es kapierten, da war es zum Teil zu spät.
Giftmüll unter Tage - es gäbe garantiert keinen Ausschuss beim Landtag, wenn nicht in Kooperation von Dr. Friedrich, Bauer Schulze-Bergkamen und Christian Link von Kumpel für AUF im Verbund mit wachsamen Medien Licht ins Dunkel gebracht worden wäre!
Oder "kleinere Themen" wie MRSA - als Frau Reichmann als erfahrene Mitarbeiterin einer Intensivstation die Thematik erstmals im Ausschuss aufbrachte, hat keiner von Ihnen die Brisanz begriffen, und das Thema wurde mit ein paar ignoranten Bemerkungen, dass es keinen kommunalen Bezug hätte von der Tagesordnung genommen.
Dann zum Politikstil: Wir praktizieren hier - trotz aller Anmache uns gegenüber - einen demokratischen und kompetenten Stil und können auch mal zugeben, wenn wir schief lagen oder jemand was besser überlegt hat als wir. Bei etlichen von Ihnen üblich ist antikommunistisches Mobbing und ein Verhalten, das man nur bezeichnen kann als "mit dem Rennwagen durch die Kinderstube gefahren" Es gibt ja immer noch Leute hier, die nach 15 Jahren es nicht übers Herz bringen, zu mir guten Tag zu sagen oder gar mir die Hand zu geben. Ja, es gibt sogar Leute, die – wenn sie mir beim Joggen/Walken – begegnen die Straßenseite wechseln und stur geradeausschauen; es sei denn der Kanal hindert sie daran (übrigens im Gegensatz zur toughen Lebenspartnerin, die stets fröhlich grüßt)… Aber: es gibt auch ganz viele andere aus Ihren Fraktionen – wenn ich denen auf der Straße begegne und keiner von Ihnen dabei ist, da höre ich dann Sätze wie "ehrlich gesagt stecken Sie unseren Fraktionsvorsitzenden doch glatt in die Tasche…“ nein, nein das sind nicht meine Freunde vom Zentralkomitee, sondern Fraktionskollegen von Ihnen, die mir das sagen! Also auch hier: Bereicherung durch die Farbtupfer!
Da fand ich doch äußerst bezeichnend die Debatte über Livestream auf der letzten Ratssitzung. Ursprünglich waren Sie ja alle dafür. Und dann kam diese kuriose Diskussion über den Datenschutz. Ich habe wirklich drei Tage und drei Nächte gegrübelt, worin denn die Datenschutzverletzungen bestehen, wenn alle Gelsenkirchener live erleben können, was Sie hier vertreten, was und wie diskutiert wird. Es sind ja ohnehin öffentliche Sitzungen! Man kann sich keinen anderen Reim darauf machen, als dass sie allmählich ahnen, dass die meisten Leute es total unmöglich finden, wie Sie hier mit anders Denkenden umgehen und was Sie hier vertreten - und was und wie Kritiker hier arbeiten und gute Argumente vortragen.
Drittens die Verbindung zu den Menschen in den Wohngebieten, auf den Straßen. Außer kurz vor Wahlen an krampfhaften Infoständen kann ich Sie da nirgends finden, auf Ihrer Internetseite finde ich alle allenfalls mal einen Besichtigungsrundgang, aber wenn's darum geht den Stauffenberg Kollegen den Rücken zu stärken - nicht erst wenn alles zu spät ist zu erscheinen –, Anti Pegida zu demonstrieren, gegen Nazis, gegen die Fackeln von BP  …
Bezeichnend ist übrigens auch, wer da Ihr Gutachten verfasst hat – bestimmt für ein horrendes Honorar. Es ist ja die Kanzlei der Staranwälte, die Sie damals in Sachen Hans Sachs Haus für teure Steuergelder gegen mich engagiert hatten, und die in stundenlanger Verhandlung so kläglich untergingen. Die Kanzlei hat u.a. die Betreiber von Asse vertreten, den Bundesrat beim NPD-Verbot, das bekanntlich scheiterte wegen zu vieler V-Leute in der NPD  und die hochrangigen Verfassungsschützer van Hüllen und Bergdorf gegen die MLPD. Na dann viel Spaß, bei dieser Kooperation!
Klar dass Sie heute per Mehrheitsentscheidung sich selbst bestätigen können, dass Sie uns nicht haben wollen. Das wussten wir aber auch schon vorher. Und was haben Sie damit gewonnen? Nichts! Höchstens dass sich vielleicht ein paar mehr Leute bemüßigt fühlen, dann die Farbtupfer im Rat eben noch stärker werden zu lassen.
Denken Sie daran, was Mahatma Gandhi gesagt hat: „Zuerst ignorieren sie dich. Dann lachen sie über dich. Dann bekämpfen sie dich. Und dann gewinnst du!“