Jan Specht bei Bergarbeiterdemo Essen IMG 1191Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer, Herr Oberbürgermeister, sehr geehrte Damen und Herren!

Die diesjährige Haushaltsdebatte steht vor einem besonderen gesellschaftlichen und weltpolitischen Hintergrund. Eine neue Weltwirtschafts- und Finanzkrise zieht herauf. Ein Anzeichen ist die gesunkene Industrieproduktion in der EU und Eurozone seit November 2018. Eine ganze Reihe von Unternehmen kündigt aktuell die Vernichtung von Arbeitsplätzen an – wie Thyssen-Krupp, was auch das Gelsenkirchener Elektrostahlwerk treffen kann.

Ein schmählicher Tabubruch ist das gebrochene Versprechen der RAG, dass keiner ins Bergfreie fällt. Die RAG kommentiert, dass sei nur eine politische Äußerung gewesen. So werden die Bergleute brüskiert, die jetzt betriebsbedingt gekündigt werden. Wo finden sie in Zukunft Arbeit? Die Ansiedlung von neuen Unternehmen in Gelsenkirchen schafft zwar einige hundert neue Arbeitsplätze. Aber das löst die Probleme nicht nachhaltig. Eine massive Verschärfung der ohnehin hohen Arbeits- und Langzeitarbeitslosigkeit und Armut zeichnet sich in den kommenden Jahre auch in Gelsenkirchen ab.
Wie wird es 2020 weiter gehen – mit der Groko, kommen Neuwahlen? Völlig zu Recht sorgen sich Politiker, dass sie die Menschen immer weniger erreichen. Gleichzeitig leisten Regierung und bürgerliche Parteien direkt oder indirekt einer besorgniserregenden rechten Tendenz Vorschub. Abschottung und inhumane Flüchtlingspolitik, kein entschiedenes Vorgehen gegen rechten Terror und neofaschistischen Umtriebe, Festhalten an den Hartz-Gesetzen, ein "Klimapaket", welches die Hauptverursacher der Umweltzerstörung aus dem Visier nimmt. Herrn Dr. Haertel möchte ich an dieser Stelle sagen, dass es eben nicht reicht, Klimapakete zu verabschieden, wenn die darin gesetzten Ziele erstens zu niedrig sind und zweitens ständig gerissen werden – auch in Gelsenkirchen. Mit den Folgen dieser Politik – ob Hartz IV, Flüchtlings- und Umweltpolitik, Kommunalfinanzen - sind Kommunen bei der Haushaltsberatung direkt konfrontiert.

Die allgemeine wirtschaftliche Entwicklung schlägt auf den Haushalt durch. Das zeigt die schwankende Entwicklung der Gewerbesteuern und Risiken wie Gewerbesteuerrückforderungen. Dieses Jahr waren am Stichtag 30.9.2019 die Gewerbesteuern um 49,8 Millionen geringer als erwartet, hauptsächlich durch Rückforderungen für Gewerbesteuervorauszahlungen. Es ist für die Menschen zurecht völlig unbegreiflich, dass Steuerzahlungen durch globale Verschiebungen gar nicht erst gezahlt oder sogar nicht bezahlte Steuern zurückgefordert werden. Gleichzeitig hängen viele Fragen ihres unmittelbaren Lebens direkt von den kommunalen Finanzen ab. Eine zentrale Forderung von AUF ist die Anhebung des Gewerbesteuerhebesatzes auf 530 Prozentpunkte, was rund 10 Millionen Euro für die Finanzierung anderer Aufgaben bedeuten könnte. Wir fordern: Auch die Unternehmen müssen ihren Teil zur Stabilisierung des Haushaltes leisten!
Ich begrüße es sehr, dass es auch in diesem Haushalt keine Streichlisten gibt. Gut, dass vieles positiv bewältigt wurde - wie die Aufnahme der Flüchtlinge - # 401 zum Trotz. An Herrn Preuß, der eben für die AfD gesprochen hat: Es macht die Attraktivität dieser Stadt aus, dass Geflüchtete hier von vielen engagierten Menschen willkommen geheißen wurden. Aber es schadet der Stadt, wenn Parteien wie Ihre die Menschen spalten, gegeneinander hetzen und für die Probleme verantwortlich machen.

AUF hat sich konstruktiv an der Haushaltsdebatte beteiligt, stimmt aber diesem Haushalt nicht zu:
Er basiert auf der chronischen Unterfinanzierung der kommunalen Finanzen. Die Gelsenkirchener Finanzprobleme sind zu einem guten Teil nicht selbst verschuldet, und eine auskömmliche Gemeindefinanzierung ist nicht in Sicht, insbesondere was die vollständige Übernahme der Kosten der Unterkunft durch den Bund betrifft. Nicht auszudenken, was ohne die vielen Förderprogramme wäre. Selbst wenn der Bund die Hälfte der Altschulden übernimmt, würden durch nicht finanzierte Aufgaben neue Schuldenberge entstehen. Die Forderung nach einem radikalen Schuldenschnitt für Kommunen hat AUF jahrelang in die Debatte gebracht. Die Dinge stehen doch auf dem Kopf, wenn angelegtes Geld durch Negativzinsen Geld bringt. Die Banken haben anscheinend zu viel und nicht zu wenig Kapital. Sie haben sich über Jahre an den Krediten und Zinsen der Kommunen bereichert.

Unser NEIN verbindet sich mit der Kritik an den Daumenschrauben der Haushaltssicherung. Über Jahre wurde zur Haushaltskonsolidierung städtisches Personal reduziert. Heute sind die Beschäftigten oft am Anschlag, aber eine „restriktive Planung“ ist weiter als Ziel aufgestellt. Unsere Anträge hatten klare Schwerpunkte für mehr Personal in Verwaltung und Eigenbetrieben. Seit 2006 treten wir ein für die Erhöhung der Ausbildungsquote, für eine Kampagne für mehr Ausbildungsstellen in Gelsenkirchener Unternehmen. Das war perspektivisch und hätte die Weichen stellen können, heute ist das Problem akut, Personal fehlt und ist schwer zu finden. Vielen Dank an dieser Stelle an Frau Welge und die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Kämmerei für ihre Arbeit!

AUF fordert Maßnahmen für die Verkürzung der Wartezeit in der Ausländerbehörde für Flüchtlinge von aktuell sieben Monaten! Ein Messprogramm in Stadtteilen mit besonderer Gesundheitsgefährdung – nicht angenommen. Unsere Anträge wurden auch aus parteitaktischen und letztlich antikommunistischen Gründen abgelehnt. Ich bin mir sicher, dass Sie mit einem solchen Verhalten eher die Politikmüdigkeit vieler Menschen befeuern.

Unser NEIN zum Haushalt ist gleichzeitig ein JA dazu, uns mit vielen Menschen auf einen kämpferischen kommunale Aktivitäten und Widerstand einzustellen, für den Erhalt elementarer sozialer Errungenschaften, kommunaler Strukturen und demokratischer Rechte, dafür, dass dem beschlossenen Klimanotstand mit vielseitigen Schritten begegnet wird, nicht zuletzt mit dem Protest gegen die Praktiken von BP und Uniper und für saubere Luft,
und um die Weichen in der Kommunalpolitik zu stellen, für Zukunftsperspektive und Lebensqualität!

Glück auf!